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Meinung

“Stimmungsboykott”: 49.000 schweigen und meckern später über die “Selbstdarstellung” der Ultras

Der 1. FC Köln schlägt Eintracht Frankfurt, dennoch ist die Stimmung im Stadion nicht gut. Trainer Stöger und viele Fans machen dafür die Südkurve verantwortlich, statt die 49.000 anderen Zuschauer, die wie immer kaum zum Support beigetragen haben. Eine gründliche Fehleinschätzung.

Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP/Getty Images

Der 1. FC Köln schlägt Eintracht Frankfurt, dennoch ist die Stimmung im Stadion nicht gut. Trainer Stöger und viele Fans machen dafür die Südkurve verantwortlich, statt die 49.000 anderen Zuschauer, die wie immer kaum zum Support beigetragen haben. Eine gründliche Fehleinschätzung. 

Der Ärger über die erste Halbzeit war auch nach der Partie gegen Frankfurt noch groß. Anlass dafür war aber nicht die erneut schwache Leistung des glorreichen 1. FC Köln auf dem grünen Rasen, sondern der spontane „Stimmungsboykott“ auf den Rängen der Südkurve. So verzichtete die Kölner Mannschaft nach dem knappen 1:0-Sieg dann auch darauf, mit der Stehplatztribüne zu feiern, und Trainer Peter Stöger zeigte sein Unverständnis für die Aktion deutlich auf der Pressekonferenz im Anschluss ans Spiel.

Doch was war passiert? Was man sich aus verschiedenen Quellen zusammenreimen kann, ist, dass im Vorfeld eine Gruppe von Kölner Fans von der Polizei im direkten Stadionumfeld eingekesselt und kontrolliert wurde. Es sollen Quarzsandhandschuhe, Mundschutz und Drogen gefunden worden sein, rund 60 der Kölner Fans wurden daraufhin in Gewahrsam genommen – um mögliche Straftaten zu verhindern.

Stille in der Südkurve

Nun kann man ein derartig prophylaktisches Vorgehen für vernünftig halten. Man kann aber auch zu dem Schluss kommen, dass eine von der Polizei unterstellte Absicht Straftaten zu begehen eben noch keine begangene Straftat ist. Und man somit auch nicht für etwas bestraft werden kann, was man noch gar nicht getan hat. Oder begehen hätte können. Diese Ansicht teilten die Ultra-Gruppen in der Südkurve offensichtlich flächendeckend und verzichteten aus Protest gegen die polizeiliche Maßnahme in den ersten 45 Minuten gänzlich auf Support. Keine Fahne wehte, kein Gesang wurde angestimmt – es herrschte Stille in der Südkurve.

Foto: Lukas Schulze/Bongarts/Getty Images

„Unverständlich“ fand Stöger das Verhalten der Fans nach der Partie. „Wir arbeiten jetzt im vierten Jahr hier und das einzige wovon alle träumen und reden ist diese Europapokalgeschichte, dann haben wir gefühlt – nicht in unserer Sichtweise, aber in der vieler Fans – ein direktes Duell und es kommt wenig Support“, monierte der Trainer. „Ich kann niemanden zwingen, gut gelaunt zu sein und positive Stimmung zu verbreiten“. Viele Kölner Fans führten zudem – vor allem in den sozialen Netzwerken – den ewigen Vorwurf der Selbstdarstellung gegen die aktive Fanszene ins Feld. Mal wieder habe man sich selbst wichtiger genommen als die Unterstützung des Vereins. Ein so notorischer wie unsinniger Vorwurf.

Das Märchen von der “spielbezogenen Stimmung”

Denn bei aller berechtigen Enttäuschung über die schwache Atmosphäre am Dienstagabend in Müngersdorf sollten sich viele Kritiker vor Augen rufen, dass es kein Anrecht auf Support aus der Südkurve gibt. Keiner in den Blöcken dort hat sich irgendwo verpflichtet, Stimmung zu machen, keiner wird dafür bezahlt. Es ist kein Job, es ist eine freiwillige Leistung von genau den Fans, die sich regelmäßig nach Ingolstadt und Hamburg aufmachen und dort mit viel Elan die Mannschaft unterstützten, trotz mehrfach schwachen Auswärtsauftritten. Selbst wenn man den Boykott am Dienstag also ursächlich für völlig übertrieben hält (ein legitimer Standpunkt!), sollte man nicht vergessen, dass es genau diese paar hundert Leute sind, die sonst immer für die Stimmung sorgen – ob zuhause oder im miefigen Ingolstadt.

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Und so muss die Frage dann auch erlaubt sein, was denn bitteschön die 49.000 anderen Zuschauer gestern zur Stimmung beigetragen haben? Schließlich sitzen dort viele Vertreter, die Ultras grundsätzlich für überflüssig halten und gerne den Mythos vom „spielbezogenen Support“ erzählen. Wie der sich anhört, konnte man am Dienstagabend dann wunderbar erleben. Außer Pfiffen zur Halbzeit (die nicht aus der Südkurve kamen) hörte der geneigte Beobachter nämlich: gar nichts.

Wenn 49.000 schweigen…

Dabei hat die Südkurve niemand verboten, selbst für Stimmung zu sorgen. Könnte sie ja auch gar nicht. Offenbar verwenden viele der 49.000 Zuschauer ihre Energie aber lieber darauf, sich über die vermeintlichen Selbstdarsteller aufzuregen, um dann bei der nächsten Südkurven-Choreo aber stolz das tolle Foto auf Facebook zu teilen. Während man bei Bratwurst und Bierchen also selbst den Mund nicht aufbekommt, wird nun über diejenigen hergezogen, die sich sonst die Seele aus dem Leib singen.

Ex-effzeh-Trainer Ewald Lienen zeigte da vor nicht allzu langer Zeit ein fortgeschritteneres Verständnis der Situation. “Das ist eine unglaubliche Investition, die diese Fans machen. Darüber sollte sich jeder einzelne Spieler im Klaren sein, was wir für eine Verantwortung diesen Leuten gegenüber haben”, erklärte der aktuelle St-Pauli-Coach in Bezug auf die Auswärtsfahrer des Hamburger Kultklubs. Warum man beim 1. FC Köln nun also der Meinung war, einen Bogen um die Südkurve machen zu müssen und diese auch noch öffentlich zu tadeln, sich aber gleichzeitig bei den – wie immer – stimmungslosen Haupttribünen bedanken zu müssen, erschließt sich aus dieser Perspektive nicht.

Ball lieber ganz flach halten

Man möchte sich die Reaktionen schließlich gar nicht erst ausmalen, sollten die aktiven Fans nach der nächsten Leistung wie in Hamburg der Mannschaft einfach mal den Rücken zu drehen, wenn sie nach der Partie zum Auswärtsblock kommt. Peter Stöger und der 1. FC Köln wären hier also überaus gut beraten, sich in Demut zu üben, den Ball mal ganz flach zu halten und sich lieber darauf zu konzentrieren, dass man wieder Leistungen auf den Platz bekommt, die in Sachen „spielbezogener Stimmung“ mehr bewirken, als ein Pfeifkonzert zur Halbzeit.

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